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IM FOKUS // Muster und Moderne. Kunst der 20er Jahre aus der Sammlung Zuschlag-Wieneke

13. Januar 2023

„Uns kam es immer darauf an, dass man in der Sammlung eine Einheit sieht“, sagen Fritz Zuschlag und Bodo Wieneke-Zuschlag, wenn man sie nach ihrer Sammlungsvision befragt. Ausgehend von Köln, dem Lebensmittelpunkt des Paares, später auch von Berlin, ihrem Zweitwohnsitz, haben die beiden in 50 Jahren eine einzigartige Kollektion von Kunst und Design der 1920er Jahre zusammengetragen. Leidenschaft und Sachverstand zeigen sich in der Auswahl der Objekte: Eine Einheit ist die Sammlung geworden, doch eine äußerst vielfältige – so vielfältig wie die Epoche, der sie gewidmet ist.

Abstraktion und Figuration, Bild und Muster sind zentrale Themen. Den Grundstock bildet ein umfangreiches Konvolut von Keramik der Weimarer Republik, die in den 1920er und frühen -30er Jahren mit überraschend avantgardistischen Formen und Dekoren aufwartete. Teller der Marwitzer Haël-Werkstätten, Tortenplatten von Theodor Paetsch, Vasen und Dosen aus Schramberg, Grünstadt, Elsterwerda und anderen Zentren der Keramikindustrie sind von der bildenden Kunst ihrer Zeit inspiriert. Vor allem die seinerzeit populären geometrischen Spritzdekore zeigen deutlich den Einfluss des Konstruktivismus, der zu Beginn der 1920er Jahre von Russland aus ganz Europa erfasste und auch im Design seine Spuren hinterließ. Ein Tellersatz mit „suprematistischem“ Dekor wird dem russischen Konstruktivisten El Lissitzky zugeschrieben, der von 1921 bis 1925 in Deutschland lebte. Er befindet sich in der Sammlung Zuschlag-Wieneke, ebenso wie Werke der Keramikerinnen Eva Stricker-Zeisel und Margarete Heymann-Loebenstein sowie zahlreicher weiterer, namhafter und heute unbekannter Gestalter*innen der 20er Jahre.  

Zu einem Zentrum des Konstruktivismus in Deutschland wurde das Bauhaus mit Protagonisten wie Lothar Schreyer, László Moholy-Nagy, Karl Peter Röhl und Franz Ehrlich. Seit der Jahrtausendwende verlagerte sich die Aufmerksamkeit von Fritz Zuschlag und Bodo Wieneke-Zuschlag von der Keramik auf die bildende Kunst, die stilistische Ausrichtung blieb jedoch bestehen. Neben den genannten und vielen weiteren Künstler*innen des Bauhauses wurden bedeutende deutsche Konstruktivist*innen wie Willi Baumeister, Erich Buchholz und Ella Bergmann-Michel Teil der Sammlung. Ein besonderes Interesse hegt Fritz Zuschlag, ein Neffe der Bauhaus-Weberin Elisabeth Kadow, für textile Gestaltungen und so finden sich neben deren Arbeiten auch Entwürfe von Ida Kerkovius und dem heute kaum noch bekannten Bauhaus-Textilgestalter Felix Kube.

Parallel zu ihrer Beschäftigung mit Konstruktivismus und abstrakter Kunst erwarben die Sammler stets auch für figurative Gemälde und Skulpturen der 1920er Jahre. Zur Sammlung gehören Bronzen von Milly Steger und Richard Scheibe sowie Gemälde der Neuen Sachlichkeit, etwa von Christian Arnold und Kurt Günther. Das Bild des Menschen in Porträts und Akten ist ein wiederkehrendes Thema, von der Geometrisierung und kubistischen Zergliederung des Körpers bis hin zum realistischen Porträt. Das ganze Spektrum dieser Ausdrucksformen findet sich in der Kunst der Kölner Progressiven, einer avantgardistischen Künstlervereinigung, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in Köln formierte. Die „Gruppe Progressiver Künstler“, so der offizielle Name, verband konstruktive und figurative Tendenzen mit einer starken politischen Agenda. Stilisierte, oftmals gesichtslose Figuren verweisen auf die Anonymität und Fremdbestimmtheit des modernen Menschen und bedienen als humanoide Roboter zugleich die ästhetische Faszination für alles Technische. Zur Sammlung Zuschlag-Wieneke gehören zentrale Vertreter*innen der großen und künstlerisch heterogenen Gruppierung wie Franz Wilhelm Seiwert, Gottfried Brockmann, Heinrich Hoerle, Marta Hegemann und Anton Räderscheidt, aber auch interessante Randfiguren wie der Maler Ludwig Egidius Ronig, dessen Werk dem Magischen Realismus zugerechnet wird.

Den Kölner Progressiven, in Berlin bislang selten gezeigt, ist in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet. Weitere Ausstellungsbereiche befassen sich mit der Kunst des Bauhauses sowie ausgewählten figurativen Positionen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Gegenüberstellung der konstruktivistischen Keramiken mit Kunstwerken des Konstruktivismus. Im direkten Vergleich zeigt sich, mit welchem Einfallsreichtum Keramikdesigner*innen der 20er Jahre die Farben, Formen und Kompositionsprinzipien der bildenden Kunst in ihr eigenes Medium übersetzten. Dank niedriger Stückpreise erreichten gerade die modernen Spritzdekor-Keramiken eine ungeheuer weite Verbreitung. Sie leisteten einen Beitrag zur Popularisierung der abstrakten Moderne, indem sie den Konsument*innen Farb- und Formgebungen der Avantgardekunst buchstäblich auf der heimischen Kaffeetafel servierten.

Es ist eine besondere Qualität der Sammlung Fritz Zuschlag, Bodo Wieneke-Zuschlag, dass sie bildende und angewandte Kunst als gleichwertige Phänomene betrachtet und einander in erhellenden Kombinationen gegenüberzustellen vermag. Gerade in Deutschland, wo anders als in der angelsächsischen Kunst- und Museumslandschaft die Bereiche meist noch scharf getrennt werden und vielfach überkommene Gattungshierarchien nachwirken, ist eine solche Ausrichtung selten. Dabei können sich gerade in der Zusammenschau von Kunst und Design neue Beobachtungen und Erkenntnisse einstellen, die der Erforschung beider Bereiche zugutekommen. Das Bröhan-Museum verfolgt diesen interdisziplinären Ansatz seit vielen Jahren und ist sehr glücklich darüber, dass Fritz Zuschlag und Bodo Wieneke-Zuschlag es zum Adressaten einer großzügigen Schenkung gemacht haben. Die Ausstellung bietet nun erstmals einen Einblick in das umfangreiche und hochinteressante Konvolut, das langfristig in den Besitz des Museums übergehen wird.

Text: Anna Grosskopf