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IM FOKUS // Innovative Keramik – Design ohne Konzessionen

25. August 2023

1923, vor genau hundert Jahren, eröffnete in dem kleinen Töpferort Marwitz bei Velten ein visionäres Designunternehmen: die Haël-Werkstätten für künstlerische Keramik.

Gegründet von der ehemaligen Bauhausschülerin Margarete Heymann-Loebenstein vor den Toren der Kunstmetropole Berlin, entwickelte sich die Firma bald zum künstlerisch progressivsten und technisch anspruchsvollsten Keramikhersteller Deutschlands. Stereometrisch-abstrakte Formen wie konische Kannen, rhombenförmige Dosen und Scheibenhenkel, leuchtende Glasuren und extravagante Dekore wirkten modern »ohne irgendwelche Konzessionen zu machen«, wie es der Kritiker Otto Riedrich 1929 formulierte.

Wichtigster Bezugspunkt war die zeitgenössische Kunst. 1925 waren Haël-Keramiken sogar in Herwarth Waldens Galerie »Der Sturm« zu sehen, wo sie Seite an Seite mit Werken von Wassily Kandinsky, Kurt Schwitters und László Moholy-Nagy präsentiert wurden.

Mit der Mitgliedschaft im Deutschen Werkbund verpflichtete sich das Unternehmen auf dessen Prinzipien und stellte sich in eine Reihe mit anderen Herstellern fortschrittlicher, ästhetisch anspruchsvoller Gebrauchsgegenstände.

Die Haël-Werkstätten etablierten sich rasch am Markt und waren auch international erfolgreich. Etwa die Hälfte der Produktion wurde exportiert und in andere europäische Länder, in die USA und bis nach Algerien geliefert.

Nach dem Unfalltod ihres Mannes und ihres Schwagers, mit denen sie das Unternehmen gemeinsam geführt hatte, übernahm Margarete Heymann-Loebenstein ab 1928 die alleinige Leitung und steuerte die Werkstätten couragiert durch die Weltwirtschaftskrise.

Erst mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus geriet das Unternehmen in eine wirtschaftliche Schieflage. Als jüdische Unternehmerin hatte Heymann-Loebenstein zunehmend unter rassistischen Anfeindungen zu leiden, von Nationalsozialisten in ihrer eigenen Belegschaft wurde sie denunziert und bedroht. 1934 sah sie sich gezwungen, die Haël-Werkstätten weit unter Wert an den NS-Wirtschaftsfunktionär Heinrich Schild zu verkaufen; die junge Keramikerin Hedwig Bollhagen eröffnete dort die bis heute erfolgreichen HB-Werkstätten.

Margarete Heymann-Loebenstein emigrierte nach Großbritannien, wo sie weiterhin als Künstlerin und Designerin tätig war. An den Erfolg der Haël-Werkstätten konnte sie jedoch nicht mehr anknüpfen.