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Schätze aus der Sammlung // Franz Hagenauer: Spiegel mit Frauenkopf

27. Januar 2022

1898 wurde in Wien vom Ziselier- und Gürtlermeister Carl Hagenauer (1872–1928) eine Metallwerkstätte gegründet: Die Werkstätte Hagenauer. In Wien befand sich um die Jahrhundertwende das Zentrum der florierenden österreichischen Metallkunstindustrie. Zwar war die Werkstätte Hagenauer nur eine von vielen kunsthandwerklichen Betrieben dort, doch durch ihren charakteristischen Stil entstanden einige Arbeiten, die aus der Menge hervorstachen. Ein paar dieser Werke befinden sich heute auch in der Sammlung des Bröhan-Museums, unter anderem der Spiegel mit Frauenkopf, den Franz Hagenauer um 1925 entwarf.

Carl Hagenauer engagierte sich bereits früh für die zeitgenössische und moderne Kunst, und auch der Jugendstil war bei ihm von Beginn an vertreten. Besonders seine Söhne entwickelten dann den eigentümlichen, unverwechselbaren Hagenauer-Stil. Die Brüder Karl (1898–1956) und Franz (1906–1986) waren beide im Unternehmen tätig und übernahmen den Betrieb nach dem Tod des Vaters vollständig. Gemeinsam mit Julius Jirasek (1896–1965), der 1930 in die Werkstätte Hagenauer eintrat, wurde Karl zunächst vom Architekten und Designer Josef Hoffmann (1870–1956) und den Wiener Werkstätten geprägt. Sie lehnten radikal den Jugendstil ab und wurden zu Vorreitern der neuen Sachlichkeit. Auf der Suche nach einer neuen Formensprache schloss sich auch Franz Hagenauer an. Er wurde in Bildhauerei bei Anton Hanak (1875–1934) ausgebildet, und wurde zudem deutlich von seinen Auslandsaufenthalten in Paris, Berlin und Rom geprägt, wo er den Bauhausstil und Art Deco kennenlernte. Franz Hagenauer folgte dem Zeitgeist des Postexpressionismus, sein Stil wurde abstrakter und hob sich durch Schlichtheit und die Reduktion auf klare Formen ab. Der Spiegel mit Frauenkopf ist dafür ein hervorragendes Beispiel.

Der Spiegel besteht aus einem rechteckigen Rahmen, der eine Spiegelglasplatte trägt, einer Grundplatte, und figürlich gestalteten Elementen aus poliertem Messing. An den schlichten Rahmen sind rechts zwei senkrechte Streben angefügt, die ihn auf der Grundplatte verankern und den streng geometrischen Eindruck des Rahmens noch unterstützen. Dieser Eindruck wird von den stilisierten Gliedern der Frauenfigur kontrastiert. Aus Sicht der BetrachterInnen stützt sie rechts vom Spiegel ihren Unterarm auf und hat die Hand oben in entspannter Haltung abgelegt. Auf der Hand liegt der längliche Kopf auf, dessen spitzes Kinn über der oberen, rechten Ecke liegt.

Die Figur zeigt eine für Hagenauer typische abstrahierte Darstellung einer Frau. Ihr Gesicht bildet sich durch wenige reduzierte Elemente heraus, die aus einfachen Linien bestehen. Trotz dieser reduzierten Formensprache lässt sich die Figur deutlich als weiblich identifizieren. Dazu benötigt es nur wenige Details, wie die gespitzt wirkenden roten Lippen, eine schmale lange Nase und große ovale Augen mit feinen geschwungenen Augenbrauen. Auch die Finger sind lang und schmal und wirken elegant. Es handelt sich hierbei um eine typisierte Darstellung, die klassisch weiblich konnotierte Merkmale verwendet. Die geschlechtliche Zuordnung der Figur deutet schon auf den Verwendungszweck und die Zielgruppe des Objektes hin, denn es handelt sich bei diesem Spiegel um einen Schmink oder Frisierspiegel, der vornehmlich für Frauen gestaltet wurde.

Der Hagenauer-Spiegel hat die perfekte Größe, um auf einer Kommode oder einem Tisch platziert zu werden, um sich von Nahem zu betrachten und das eigene Äußere zu perfektionieren. Er lädt dazu ein, lange Zeit mit dieser Selbstbetrachtung zu verbringen und regt die BetrachterInnen an, einen gewissen Aufwand zur Erhaltung des Scheins zu betreiben. So unterstützt der Spiegel auch die Eitelkeit der Menschen. Dabei ist das Thema der Eitelkeit natürlich nicht nur Frauen vorbehalten. Der Spiegel stellt dem unperfekten echten Gesicht der BetrachterInnen die goldene Maske der Frau gegenüber. Während das Abbild der Menschen flüchtig ist, bleibt die dekorative Figur des Spiegels stets gleich und führt den BetrachterInnen die eigene Vergänglichkeit vor Augen. Ein Spiegel dient als Mittel zur Selbstwahrnehmung und führt zur Begegnung mit sich selbst. Beim Hagenauer-Spiegel handelt es sich außerdem um eine Mischung aus angewandter und freier Kunst, dessen Besonderheit darin besteht, die BetrachterInnen durch die Spiegelfläche zum Teil des Objektes werden zu lassen.

Text: Nina Colantonio