Blog

Im Fokus // Der proletarische Blick – Arbeiterfotografie der 1920er Jahre von Kurt Pfannschmidt, Ernst Thormann und Richard Woike

28. Oktober 2020

Die Ausstellung „Der proletarische Blick“ vermittelt ein emotionsreiches und komplexes Bild der Zwischenkriegsjahre. Kurt Pfannschmidt (1900-1987), Ernst Thormann (1905-1984) und Richard Woike (1901-1976) dokumentieren diese Zeit in ihrer Vielfältigkeit. Die Fotografien zeigen den lebendigen Alltag der Berliner Straßen, die Zusammenkünfte der Arbeiterbewegung, aber auch die von Armut durchwachsenen Lebensumstände. Dabei handelt es sich nicht um nüchterne Beweismittel. Die Fotografien sind aus Sicht der Arbeiterschaft entstanden und von ihrer Anteilnahme am Gesehenen beeinflusst. Sie zeigen einen sinnlichen Eindruck aus der Masse und ein Abbild eines proletarischen Blicks.  

Erst als sich nach der Wende zum 20. Jahrhundert auch nichtbürgerliche Amateure einen Fotoapparat leisten konnten, hatten auch Arbeiter die Möglichkeit, ihr Leben festzuhalten. Sie konnten ihren Blickwinkel abbilden und somit ein eigenes Bild ihrer Klasse erzeugen.

Ein Preisausschreiben der „Arbeiter Illustrierten Zeitung“ (AIZ) im März 1926 führte zu einer gemeinsamen Zielsetzung der Arbeiterfotografen. Die AIZ, die eine ideologische Nähe zur KPD hatte, war die zweitgrößte deutschsprachige Illustrierte. Sie bildete ein proletarisches Gegenstück zu bürgerlich illustrierter Presse. Die von bürgerlichen Agenturen gelieferten Fotografien gaben die Welt der Arbeiterschaft nicht wieder, wie die AIZ sie darstellen wollte. Um sich davon unabhängig zu machen, rief die AIZ im Preisausschreiben 1926 ihre Leser dazu auf, Fotografien der Arbeiterschaft, die die soziale Lage zeigten, einzusenden. Dies stieß auf große Resonanz und bildete einen Auftakt für die proletarische Fotografie-Bewegung: Die Vereinigung der Arbeiter Fotografen Deutschlands (VdAFD) wurde gegründet und in verschiedenen Städten entstanden Ortsgruppen. Als Mittteilungsblatt der Vereinigung erschien „Der Arbeiter-Fotograf“. Er bot Anleitungen zur Ausbildung effizienter Fotokorrespondenten. Sowohl Ernst Thormann, als auch Kurt Pfannschmidt und Richard Woike waren Mitglieder der VdAFD.

Die bürgerliche Presse verklärte Bereiche der proletarischen Lebenswelt durch Ästhetisierung und Idealisierung oder sparte sie ganz aus. Dem wollte die AIZ entgegenwirken indem sie das proletarische Leben in den Mittelpunkt stellte. Die Fotografie sollte dabei keine Originalität oder künstlerischen Anspruch äußern, sie sollte nicht gestellt oder persönlich sein. Gefordert waren Bilder aus dem Alltag der Arbeiter, der Arbeit in den Fabriken, der Auswirkungen der Arbeitslosigkeit, der elenden Wohnbedingungen, Bilder von der Arbeiterbewegung und der staatlichen Gewalt. Die Kamera sollte als objektiver Beobachter dienen. Allerdings war die Gleichzeitigkeit des Festhaltens des von ihnen Erlebten und des Machens von agitatorisch wirksamen Fotografin keine leicht zu bewältigende Aufgabe.

Das Dokumentieren der Arbeitsverhältnisse war mühevoll, denn das Fotografieren in Fabriken war untersagt und konnte nur auf illegalem Wege durchgeführt werden. Hinzu kam das Problem der schlechten Lichtverhältnisse, denen die verfügbaren Kameras nicht gewachsen waren.

Zu Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und geringen durchschnittlichen Wochenlohns gab es große Hindernisse materieller Art, da Fotoapparate und Filmmaterial teuer waren. Außerdem verfügten viele nicht über die erforderlichen Räumlichkeiten zum Entwickeln der Fotografien. Das Arbeiten in Kollektiven erleichterte diese Probleme. Kollektives Arbeiten war auch aus anderen Gründen erforderlich. Denn auch das Dokumentieren von Ereignissen der revolutionären Arbeiterbewegung in Bildern war gefordert, allerdings durch die hohe Gewaltbereitschaft von Nationalsozialisten und Polizei gefährlich. Die verstärkte Überwachung von Demonstrationen, die Zerstörung von Kameras und das Erteilen willkürlicher Verbote von Seiten der Polizei erschwerte die Arbeit der Fotografen erheblich.

Nichtsdestotrotz sind in den 1920er Jahren eine Vielzahl von Fotografien entstanden, die das Leben der Arbeiterschaft aus ihrem eigenen Blickwinkel abbilden. Sie geben Auskunft über die Rolle von Fotografie als Waffe im Klassenkampf, aber auch über die komplexen Bedürfnisse der einzelnen Akteure.

Die Ausstellung schließt an die vom 12. Mai bis zum 27. September 2020 im Bröhan-Museum gezeigte Ausstellung zu Werken von Hans Baluschek an. Hans Baluschek hatte neben anderen Künstlerinnen und Künstlern auf die Lebensumstände der Arbeiterschaft aufmerksam gemacht und das Industrieproletariat zum Thema der Kunst erhoben. Durch die Emanzipation der Arbeiterschaft entstand die Möglichkeit, ihr Leben aus ihrer eigenen Sicht abzubilden.

Text: Tonia Krüger