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Im Fokus // Luigi Colani und der Jugendstil

15. September 2020

„Das Bauhaus ist out!“ stellte Luigi Colani fest und forderte stattdessen 1977 die „Renaissance des Jugendstils“. Luigi Colani, 1928 in Berlin geboren, zettelte damit eine Revolution im deutschen Design an. Über den Deutschen Werkbund, das Bauhaus und nach 1945 die Hochschule für Gestaltung Ulm, hatte sich eine Sprache des deutschen Designs entwickelt, die extrem von Nüchternheit und Sachlichkeit geprägt war. Perfektes Industriedesign sollte unemotional sein – die Objekte waren reduziert auf die Funktion und nichts sollte davon ablenken. Vielfach herrschten der rechte Winkel und eine sehr reduzierte Farbpalette. Ein feuriges Mausgrau wurde nur sehr dezent durch gelegentlich einen farbigen Knopf akzentuiert. Diese Gestaltung war prägend für die junge Bundesrepublik und mit den Staatsbauten in Bonn von Sep Ruf und Egon Eiermann und der Präsentation auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 auch Markenzeichen der Adenauer Republik. Ein Wesensmerkmal dieses Design war das völlige Zurücktreten des Designers hinter dem Objekt und der Marke. Die Schlagworte „Die gute Form“ oder „Die Linie der Vernunft“ waren zu Leitlinien des deutschen Designs geworden. Mit der Epochenwende 1968 vollzog sich ein politischer und gesellschaftlicher Wandel, der sich auch im Design abbildete. Der führende Kopf dieser 68er Revolution im deutschen Design war Luigi Colani. Er hatte in Berlin Bildhauerei an der HDK studiert, bevor er zur Aerodynamik an die Polytechnischen Hochschule Paris wechselte. Unter den deutschen Designern war er damit von Anfang an ein Paria, da er aus keiner klassischen deutschen Designerschmiede stammte. Ganz im Gegenteil, Colani kam von der Kunst und überwand damit die Trennmauer zwischen Kunst und Design, die Hermann Muthesius, der deutsche Werkbund und letztlich auch das Bauhaus unter Hannes Meyer errichtet hatten und die in den 50er und 60er Jahren zum Credo des deutschen Design gehörten. Ganz im Sinne eines Künstlers forderte er das alleinige Recht an der Autorenschaft der Entwürfe ein und machte sich selbst als Designer zur Marke. Auf vielen seiner Entwürfe prangt gut sichtbar in Handschrift der Name Colani. Sein Rückgriff auf den Jugendstil ist damit nicht nur über die Form begründet, sondern auch über das Designverständnis, waren doch die meisten Jugendstilgestalter wie Henry van de Velde oder Peter Behrens ursprünglich Maler und kamen damit wie Colani aus der Kunst.

Um gegen das etablierte deutsche Design eine starke Gegenposition zu entwickeln, nimmt Colani formale Anleihen beim Jugendstil. Wie die Jugendstil-Künstler beobachtet er die Natur und setzt seine aerodynamischen Kenntnisse ein, um zu völlig neuen Formen für Möbel und andere Gebrauchsgeräte zu kommen. Seine Objekte werden weich und rund, was allerdings keine reine Formverspieltheit ist. Er überwindet die Herrschaft des rechten Winkels, indem er die Funktion der Objekte hinterfragt und neu definiert. Mit einer in Stein gemauerten Festlegung der Funktion gibt er sich nicht zufrieden, sondern setzt die neuen gesellschaftlichen Konventionen im Möbeldesign um. Von „68“ beeinflusst, sucht er gerade im Wohnbereich, das Leben neu zu definieren, und formuliert seine Vision von der Zukunft des Wohnens in seinem Buch Ylem. Die Hierarchien der Möbel lösen sich auf und der gesamte Raum wird zur „Wohnlandschaft“. In der Ausstellung „Luigi Colani und der Jugendstil“ werden die Entwürfe von Colani Objekten aus der Jugendstilsammlung des Museums gegenüber gestellt. Es wird dabei ersichtlich, dass Colani keinen formalistischer Abklatsch des Jugendstils versuchte,  sondern eher eine Weiterentwicklung oder ein Wiederaufgreifen grundlegender Ideen und Konzepte der Reformbewegung um 1900. Die weichen Formen des Jugendstils, der Versuch, die Natur als Inspirationsquelle zu nehmen und die Natur in den Entwürfen unmittelbar ins Haus zu holen, werden dabei genauso rezipiert, wie die Sinnlichkeit der weichen Formen.

Eine weitere interessante Parallele zum Jugendstil findet sich im Werk Colanis. In den 1980er Jahre arbeitete Colani für mehrere Jahre in Japan und ließ sich auch dort nachhaltig von der japanischen Ästhetik beeinflussen. Es entstehen also Werke, für die man ebenso den Begriff Japonismus verwenden kann, wie für eine ganze Reihe von Jugendstilobjekten. Denn die erst ab 1850 für Europa zugängliche Welt der japanischen Ästhetik war auch für den Jugendstil eine der wichtigsten Inspirationsquellen. Colanis japanische Objekte begegnen im Museum den japonistischen Entwürfen um 1900.

Natürlich findet sich auch jede Menge Erotik im Jugendstil, die Colani begeistert aufgreift und fast bis zur Persiflage steigert. Design ist für Colani nicht von der Emotionalität zu trennen und so nutzt er gerade diese Jugendstilanleihen mit Freude, um die Gralshüter des guten Geschmacks zu provozieren. Überhaupt gehören Humor und deftige Ironie zu den Wesensmerkmalen von Colanis Design, was dazu führte, dass der letztes Jahr verstorbene Designer vielfach aneckte und oft falsch verstanden wurde. Wie Colani mit der Forderung nach der Renaissance des Jugendstils offenlegt, ist der Jugendstil zwar nicht die einzige, aber doch eine der großen Inspirationsquellen für sein Werk, was in der Ausstellung im Bröhan-Museum dargestellt werden soll.

Text: Tobias Hoffmann