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NEUERWERBUNG /// HOFFMANN VS. LOOS

13. Oktober 2017

In diesem Sommergelang es dem Bröhan-Museum, zwei Sitzmöbel anzukaufen, die zwei entscheidende Positionen des frühen modernen Designs verkörpern: Einen Stuhl eines unbekannten Gestalters mit gefächerter Rückenlehne aus den 1910er Jahren und einen geometrisch geformten Armlehnstuhl von Hans Vollmer, der um 1902 entstand. Die beiden völlig unterschiedlichen Objekte stehen für den Konflikt zwischen zwei der wichtigsten Gestalter und Wegbereiter des Designs des 20. Jahrhunderts, Josef Hoffmann und Adolf Loos, die beide vollkommen unterschiedliche und unvereinbare Auffassungen von moderner Gestaltung vertraten. Beide waren nichtnur gleich alt und zur selben Zeit tätig, sondern sogar in der selben Stadt, in Wien. Dort versammelte sich um 1900 die Avantgarde europäischer Gestaltung. Während in Metropolen wie Paris der florale Jugendstil seine Blüte erreicht hatte, entstand in der Rückschau betrachtet zur selben Zeit in Wien radikal moderne Gestaltung, die in ihrer geometrisch-funktionalen Ästhetik das Design des 20. Jahrhunderts vorwegnahm. 

Die neue Art zu gestalten war das Resultat der industriellen Revolution, die seit dem 19.Jahrhundert die Lebenswelt der Menschen vollkommen verändert hatte. Neue Techniken der industriellen Fertigung und neue Materialien erlaubten den Einsatz eines beinahe grenzenlosen Spektrums an Dekoren und Formen. Oft resultierte das darin, dass Gebäude und Produkte in einem wilden Stilmix verschiedenerEpochen gestaltet waren. Bereits seit den 1850er Jahren regte sich Widerstand gegen den als leer empfundenen Eklektizismus von Gestaltung und Architektur. Als Grundlage moderner Wiener Gestaltung kann der Architekt und Stadtplaner Otto Wagner angesehen werden, der Praktikabilität in das Zentrum seines Schaffens stellte („Etwas unpraktisches kann nie schön sein“).

Bei eben jenem Otto Wagner studierte Josef Hoffmann (1870 – 1956). Hoffmann übernahm Wagners Interesse an klaren, schlichten Formen. Er gehörte zur jungen Wiener Avantgardeund war 1898 Mitbegründer der Wiener Secession, verließ sie aber nur sieben Jahre später wieder, um sich einem für ihn bedeutenderen Projekt zuzuwenden: Der Wiener Werkstätte. Wie schon bei der englischen Arts and Crafts-Bewegungsollten von den Wiener Werkstätten neue Impulse für das Handwerk ausgehen und die Qualität der materiellen Gegenstände sollte verbessert werden. Hoffmann spielte in seinen Entwürfen mit den Oberflächen, überzog den ganzen Raum mit rhythmischem, geometrischem Dekor. Er setzte das Ideal des Gesamtkunstwerks um, das eine Gestaltung des gesamten Gebäudes, von Architektur bis Ausstattung,meinte.

Anders als bei Hoffmann stand bei Adolf Loos (1870 – 1933) nicht das Dekor, sondern dasMaterial im Vordergrund. Loos wehrte sich gegen die Aktivitäten seiner Berufskollegen auf dem Gebiet des Kunsthandwerks und forderte, Architekten sollten sich vollkommen auf das funktionale beschränken und nicht künstlerisch tätig sein. Er war viel mehr als Hoffmann Einzelkämpfer, den er zwar bereits aus seiner Gymnasialzeit kannte, mit dem es aber 1898 zum Bruch kam, als Josef Hoffman Loos verwehrte,das neugebaute Secessionsgebäude miteinzurichten. Aus Freundschaft wurde eine lebenslange Feindschaft. Viel mehr als Hoffmann war Loos radikal modern. Dies bewies er beispielsweise mit seinem Haus am Michaelerplatz, mit dem er 1910 einen Skandal auslöste, weil er glatt verputzte weißen Außenwänden über eine Sockelzone aus grünem Marmor setzte. Für Loos war der Moderne kein bestimmter Stil zugeordnet, sondern eine bestimmte Haltung. Bis heute ist er berühmt fürseinen Vortrag „Ornament und Verbrechen“ (1908), in dem er eine Abwertung des Dekors und eine Aufwertung des Materials forderte. Hoffmann wollte die Kunst in die Gestaltung und Architektur bringen, Loos die Architektur von der Kunstbefreien und von der Gestaltung lösen.

Wie zeigen sich nun diese unterschiedlichen Auffassungen von Gestaltung in dem Stuhl und demSessel? Weder der Stuhl, noch der Sessel wurden von Loos bzw. Hoffmann entworfen. Dennoch sind beide ganz im Einvernehmen des jeweiligen Architekten. Der Fächerstuhl wurde von Loos selbst in vielen seiner Interieurs eingesetzt. Er ist abgeleitet von den englischen Captain’s Chairs und entsprach allen Anforderungen, die Loos an funktionale Gestaltung stellte. Die Streben der Lehne treffen sich nicht in einem Punkt, sondern sind auf zwei Ebenen versetzt,um ihm zusätzliche Stabilität zu geben. Die Sitzfläche ist leicht eingewölbt und der Körperform angepasst. Die hinteren Stuhlbeine sind für zusätzliche Stabilität angeschrägt. Auf aufgesetztes Ornament wird vollkommen verzichtet, die Funktionalität der einzelnen Elemente selbst, wie zum Beispiel die Rückenlehne, wird zum Ornament. 

Ganz anders der Sessel. Er stammt von Hoffmanns Schüler Wilhelm Schmidt und wurde von der Prag-Rudniker Korbfabikation gefertigt. Der Sessel ist ein Spiel mit dem wichtigsten Gestaltungselement des geometrischen Wiener Jugendstils, dem Quadrat, in dessen Tradition er steht.Bereits vor dem Ersten Weltkrieg nimmt der Sessel jenen Stil vorweg, für den das Bauhaus später bekannt werden sollte. Beide Möbel sind auf ihre Art modern. Der Fächerstuhl, weil er für eine moderne Geisteshaltung steht, der Armsessel, weil er einer modernen Ästhetik entspricht. 

Ausführlichere Informationen im Katalog des MAK Wiens: “Wege der Moderne: Josef Hoffmann, Adolf Loss und die Folgen”, Wien 2015. 

Text: Simon Häuser