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IM FOKUS // Skandal! Mythos! Moderne! Die Vereinigung der XI in Berlin

13. Mai 2019

Die Künstlergruppe Vereinigung der XI wurde am 5. Februar 1892 in Berlin gegründet. Zu ihr gehörten unter anderem Max Liebermann, Walter Leistikow, Ludwig von Hofmann, Max Klinger und Dora Hitz als erste Frau. Regelmäßig im Frühjahr präsentierten sie mit zirka 60 Exponaten aktuelle und ältere Werke, zeigten Skizzen, Entwürfe und integrierten erstmalig Kunsthandwerk in das künstlerische Gesamtkonzept (selbstgestaltete Rahmen, Steinzeug-Vasen, Fächer-Entwürfe).

Die Ausstellungen fanden in den ersten sieben Jahren in der Galerie Schulte im Palais Redern am Pariser Platz statt, dem Standort des heutigen Hotel Adlon. Durch die prominente Lage wurde hohe Aufmerksamkeit generiert: Nur einen Steinwurf von der Akademie der Künste, dem Zentrum der etablierten Berliner Kunstweltentfernt, wirkten die programmatischen Ausstellungen der XI doppelt provokativ. Sie setzten wichtige Akzente. Durch ihr Engagement wurde in der Hauptstadt der deutsche Impressionismus etabliert und die neue, aus Frankreich und Belgien stammende Kunstströmung des Symbolismus eingeführt. Nicht nur Max Liebermann nutzte die Ausstellungen als Experimentierfeld. Bedeutende Symbolisten wie Max Klinger und Ludwig von Hofmann fanden hier eine regelmäßige Plattform und junge Künstler wie Martin Brandenburg wurden gefördert. Walter Leistikow wurde nahezu über Nacht berühmt und Arnold Böcklin als Ehrenmitglied gewonnen.

Auch die Präsentation der Werke war richtungweisend: Die XI bespielte den modernsten Ausstellungsraum Berlins, der als erster über elektrische Beleuchtung verfügte. 1899 wechselte sie zur neu eröffneten und von Henry van de Velde gestalteten Galerie Keller & Reiner. Als Künstlerkuratoren konzipierten sie demokratisch organisiert ihre eigenen Ausstellungen und besorgten die Hängung selbst – sie waren durch ihren mit der Galerie hart verhandelten Ausstellungsvertrag autonom und verstanden die Ausstellungen als eigenständiges Gestaltungsmittel.

Die Vereinigung der XI hatte als Künstlergruppe ein kontinuierliches Wechselspiel von Individualität und Kollektivität. Ihr gemeinsames Ziel, freie Ausstellungen zu gestalten, eine angemessene Gruppengröße und regelmäßige private Treffen mit auswärtigen Gästen waren das Fundament für eine jahrelange Zusammenarbeit. Die ausgestellten Werke behielten im Rahmen der kleinen Arrangements ihre Aura. Allen Anfeindungen zum Trotz gab es ein Publikum für diese Ausstellungen, aus dem sich ein neuer Kundenstamm für die moderne Kunst entwickelte. Scharfsichtig bemerkte Julius Levin: „Was ist dieses geheimnisvolle Etwas, was Freund und Feind zwingt, sich zu äußern, was Keinen kalt bleiben läßt? Es ist die Unabhängigkeit der ‘XI’, die diesen Zauber ausübt.”

Die Wirkung dieser ersten modernen Künstlergruppe Deutschlands war enorm. Aus dem singulären Phänomen entwickelte sich landesweit eine neue Ausstellungspraxis, nämlich die der Gruppenausstellung in kommerziellen Galerien. Dabei ging es um eine grundsätzliche Verbesserung der Ausstellungssituation der bildenden Künstler und ihrer von den Ausstellungen abhängigen wirtschaftlichen Situation. Als Künstlerkuratoren nahmen sie ihr Schicksal in die eigene Hand. Ein Gründungsboom war die Folge und das Angebot erhöhte sukzessive die Nachfrage, was Hugo von Tschudi in seiner Kaisergeburtstagsrede von 1899 nachdrücklich bemerkte. Am Ende führte die kunstpolitische Arbeit der XI 1899 zur Gründung der Berliner Secession, die umfassender wirksam sein konnte. Liebermann meinte Jahrzehnte später, die Vereinigung der XI „war doch das Beste von allem gewesen”.

Die elf Maler der ersten Stunde indes erhielten nicht nur Anerkennung und Zuspruch, sondern es schlug ihnen Empörung und Unverständnis in Form vernichtender Kritiken entgegen. Die Gruppenausstellung wurde von der konservativen Kritik als sinnlose “Selbstisolierung” gebrandmarkt, je nach Autor gerieten einzelne Künstler ins Visier. Man forderte die Schließung, auch in den Ausstellungen selbst wurde verbal randaliert. Dennoch konnte Leistikow am Ende der ersten Ausstellung berichten: „Der Erfolg unserer Ausstellung war ein überraschender, niemals vorher hat eine so kleine Ausstellung hier einen solchen Aufruhr verursacht […] in anderen wirklichen Kunststädten München oder Paris würde diese Ausstellung ziemlich spurlos vorübergegangen sein, hier bildete sie 3 lange Wochen hindurch das Tagesgespräch.”

Mit “Skandal! Mythos! Moderne! Die Vereinigung der XI in Berlin” wird dieser Künstlergruppe erstmals eine Ausstellung gewidmet. Ein Teil der historischen Ausstellungen wird rekonstruiert und durch Werke aus dieser Schaffensphase der insgesamt 16 Künstler ergänzt. Dabei wird Bekanntes neben Unbekanntem zu sehen sein, die streitbare Berichterstattung soll zu Wort kommen, und das kunstpolitische Umfeld und die Skandale werden beleuchtet. Die Ausstellungen waren ein gesellschaftliches Ereignis, Alfred Lichtwark, Leiter der Hamburger Kunsthalle, formulierte für viele: „Ich freue mich riesig auf die Elf.”

Text: Sabine Meister