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IM FOKUS // DIETER HACKER – POLITISCH FOTOGRAFIEREN (1974-1981)

27. September 2018

„Obwohl alles, was wir sehen, unseren Wunsch utopisch erscheinen lässt, wollen wir eine Welt, deren Gang von den Amateuren bestimmt wird – also von allen. Deshalb müssen wir uns der eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten bewusst werden und von den Profis lernen, was für uns von Nutzen ist – um sie zu besiegen.“
Dieter Hacker, 1974

Mit dieser Kampfansage lässt DieterHacker den Einleitungstext zu jener Ausstellung enden, die den offiziellen Beginn seiner intensiven Beschäftigung mit der Fotografie als künstlerischem Medium bedeutet. Der Titel der Ausstellung und des dazugehörigen Magazins „Millionen Touristen fotografieren den schiefen Turm von Pisa. Wie viele haltenihren Fotoapparat schief?“, vermittelt die Motivation des Künstlers, der eineausführliche Analyse des Zustands der Amateurfotografie anstrebt.

Kern der Ausstellung im Bröhan-Museumist die Neuauflage der partizipativen Installation „Alle Macht den Amateuren“. Hierfür hat Hacker mehrere tausend Amateurfotografien gesammelt, die er flächendeckend auf dem Boden des Ausstellungsraums verteilt. Hervorgehobene Einzelfotos, die aufgrund ihrer Besonderheiten aus der Masse der privaten Schnappschüsse herausstechen, dienen als Inspiration für den Besucher. Dieser ist aufgefordert, es dem Künstler gleichzutun und in der Bilderflut nach sprichwörtlichen Perlen zu tauchen. Auf das Gebiet der Amateurfotografie bezogen, deren Theorie Hacker ausführlich entwickelt und niedergeschrieben hat, ist „Alle Macht den Amateuren“ die vielleicht prägnanteste Arbeit. Die Einbeziehung des Rezipienten dient seiner Erziehung als Amateurfotograf. Denn dieser sucht seine Vorbilder nun nicht unter den „Lügen“ marktstrategischer Bildklischees der Profifotografie, sondern entdeckt ästhetische Momente, die ohne kommerzielles Verwertungsmotiv, nur zum Zweck der persönlichen Erhebung entstanden. In dieser Form der Analyse von Amateurfotografie sieht Hacker dieMöglichkeit, ein ästhetisches Formenrepertoire zu definieren, dessen Anwendungdie Amateure – also alle – befähigt, gesellschaftliche Aussagen zu formulieren– und somit politisch zu fotografieren.

Auch die Installation „Wie beschissen finde ich Deutschland“ (1981) arbeitet mit gesammelten Amateurfotografien. Auf ausgedehnten Motorradreisen, die eigentlich dem Wunsch nach Abwechslung und derBefriedigung der Abenteuerlust dienen sollten, stellt Hacker resigniert fest: „An allen Stadträndern die gleichen weißen Eigenheime mit Isolierglasfenstern,die das Land überschwemmen wie von den Städten Erbrochenes. In allen Restaurants der bürgerliche Mittagstisch mit dem Jägerschnitzel als Höhepunkt. Die Fußgängerzonen. Die Plastikgärten. Die Streichholzwälder. Die Deutschen.“ Diese und andere verhasste Stereotype findet Hacker in den privaten Fotografien jener „Deutschen“ wieder, die nicht nur den immer selben Lebensinhalt, sondern auch die dazugehörigen Bildformeln reproduzieren. Gerahmt und auf dem Boden arrangiert, wird die Präsentation zur Metapher einer monotonen Spießbürgerlichkeit.

Eine Fotografiesammlung anderer Artsteckt hinter der Arbeit „Geprüft und für wertlos befunden“ (1980). Manch einer wird sich noch erinnern, dass nach dem Einsenden analoger Filmrollen zum Entwickler nicht zwingend alle Bilder zurückkamen. Fehler bei den Aufnahmen, bei Unschärfe, angeschnittenen Motiven oder durch einen versehentlichen Fehlschuss, wurden für den Verbraucher als wertlos eingestuft und per Hand aussortiert. Hacker ist dieser Form der Zensur nachgegangen. Im Fotolabor, daser als „Bilderfabrik“ bezeichnet, lernt er nicht nur den mittlerweile ausgestorbenen Beruf der Fotokontrolleurin kennen, sondern rettet auch mehrere hundert Fotografien vor der Vernichtung. Wie Mosaiksteine auf der Wand zusammengeführt, erhebt sie die Kontextualisierung im Kunstbetrieb zu Sinnbildern vermeintlich „falschen“ Fotografierens, die mit tradierten Konventionen brechen und gerade deshalb für den Künstler interessant werden: „Trotz ihrer Zufälligkeit bringen sie Facetten der Fotografie zum Leuchten, die im konventionellen Foto stumpf bleiben. Die Fotografie ist nur Sinnbild. Konvention ist nicht nur ein Thema der Fotografie. Die Einwilligung der Opferin ihre eigene Kastration liegt bereits vor in allen Bereichen des Lebens.“ (Plakattext)

Die Ausstellung „Dieter Hacker –politisch fotografieren“ wird durch weitere Exponate ergänzt, die einen tieferen Einblick in Dieter Hackers Auseinandersetzung mit der Fotografieermöglichen. Der Besucher wird unter anderem eingeladen, sich in die sechs erschienenen Ausgaben von „VOLKSFOTO. Zeitung für Fotografie“ einzulesen, dieHacker zwischen 1976-80 gemeinsam mit Andreas Seltzer herausgegeben hat. Die „VOLKSFOTO“ führt zahlreiche weitere Ansätze zum Umgang mit Amateurfotografie vor Augen, die Seltzer und Hacker zuvor in Ausstellungen zur Diskussionstellten. Eigene Aufnahmen Hackers, die als Kommentare zur Fotografietheorie entstanden, originale Ausstellungsplakate, der von ihm betriebenen 7. Produzentengaleriesowie Filme, die Hacker Ende der 70er Jahre für das öffentlich-rechtlicheFernsehen mitentwickelte, runden die Präsentation ab.

Es ist die erste Ausstellung DieterHackers – von 1990 bis 2007 Professor für Malerei an der Universität der Künste Berlin – die sich allein auf dessen fotografisches Werk konzentriert. Seit 2016 widmet sich das Bröhan-Museum in seiner Ausstellungsreihe „Blackbox“  Positionen aus den Bereichen Plakatgestaltung, Grafik und Fotografie, die für außergewöhnliche Strategien und Strukturen künstlerischer Gestaltung stehen. Mit „Dieter Hacker – politisch fotografieren (1970er)“ präsentiert das Bröhan-Museum diesmal eine künstlerische Position West-Berlins, die neben der Einbettung in den „European Month of Photography“, ganz im Zeichen des Jubiläumsjahrs der 68er Revolution steht. Dem stets kritischen Geist des Künstlers der Kunst gegenüber – sei es im konstruktivistischen Frühwerk, den fotografischen Arbeiten oder im malerischen Oeuvre – liegt ein soziales Engagement zugrunde, das Hackers Kunstbegriff definiert. Die Reflexion der künstlerischen Mittel und die Bereitschaft diese, wenn nötig, anzupassen, um dem Selbstverständnis als politischer Künstler gerecht zu bleiben, zeichnet ihn bis heute aus. Ob sein fotografisches Werk in digitalen Zeiten einer immer weiter steigenden Bildproduktion an Aktualität gewonnen hat, welche Ansprüche man an die Amateurfotografie heute noch stellen kann und inwiefern sich die Umstände und Kategorien fotografischer Arbeitweiterentwickelt haben, sind Fragen, die im Bröhan-Museum zur Diskussion gestellt werden.

Text: Fabian Reifferscheidt