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IM FOKUS // Berliner Realismus

8. März 2018

Vergleicht man die Berliner Secession mit ihren wenige Jahre älteren Schwestersecessionen in München und Wien, so fällt auf, dass die Malerei in Berlin neben impressionistischen und symbolistischen Tendenzen auch von Anfang an eine ausgeprägte Affinität zum Realismus und zur politisch-sozialkritischen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit hatte. Die Berliner Secession, und hier vor allem Hans Baluschek, Käthe Kollwitz und Heinrich Zille, schuf um 1900 die Grundlage für einen eigenen Berliner Stil, der in der Kunst der Weimarer Republik seine konsequente Fortsetzung fand. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Berlin zum Brennpunkt der politischen und gesellschaftlichen Probleme der jungen Republik. Die Kunst griff diese Verwerfungen auf und radikalisierte die realistische Malerei, indem sie drastischer, satirischer und aggressiver wurde.

Beginn des Berliner Realismus – Großstadtrealismus
In Berlin um 1900 treffen Künstler, die sich für eine realistische Kunst entschieden haben, auf eine gänzlich andere Situation als etwa die französischen Künstler um Gustave Courbet, der als Vater des Realismus in der Malerei gilt. Die industrielle Revolution hat eine großstädtische Arbeiterschaft entstehen lassen, deren Angehörige gerade in Berlin in riesigen Mietskasernen unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen. Die Arbeiterschaft mit ihrer spezifischen Lebenssituation, geprägt von Armut, Hunger, Krankheit und vielfältigen sozialen Missständen, ist eine im Stadtbildsichtbare gesellschaftliche Realität geworden. Gleichzeitig hat sich die Arbeiterschaft aber auch schon zu einer politischen Kraft entwickelt. In Berlin stellen sich besonders Käthe Kollwitz, Heinrich Zille und Hans Baluschek dieser Realität und machen sie zum Thema ihrer Kunst. Gerade Zille, der häufig auf seine gutmütig-humoristischen Zeichnungen des Berliner „Milljöhs“ reduziertwird, gilt es neu zu entdecken, denn „…es gibt noch einen dritten Zille, und dieser ist mir der liebste. Der ist weder Humorist für Witzblätter noch Satiriker. Er ist restlos Künstler. Ein paar Linien, ein paar Striche, einwenig Farbe mitunter – und es sind Meisterwerke.“ (Käthe Kollwitz).

Krise des Realismus – Fotografie und 1. Weltkrieg
Um 1900 ist der Malerei durch die Fotografie ein wichtiger Konkurrent erwachsen, der nun auf völlig neue Weise den Anspruch auf Darstellung der Wirklichkeit erhebt. Natürlich stellt die Fotografie gerade den Realismus infrage, was zu einer intensiven Realismuskritik in der Kunst führt. Vor diesem Hintergrund ist es besonders interessant, dass Zille sowohl als Zeichner wie als Fotograf tätig war. Der Einfluss der Fotografie ist ab 1910 immer spürbarer und die realistische Malerei muss darauf reagieren. Fast zeitgleich ereignet sich ein zweiter massiver Einschnitt. Die Gräuel des ErstenWeltkriegs haben ein solches Ausmaß erreicht, dass auch dies die realistischeMalerei infrage stellt: Kann man dieses Grauen noch realistisch darstellen, oder muss jede künstlerische Umsetzung allein durch die Drastik der Darstellungzur satirischen Überspitzung werden?

Berliner Realismus in der Weimarer Republik
Der Realismus in der Berliner Kunst der Weimarer Republik hat sich gewandelt. Gerade in der Frühphase der Weimarer Republik steigert sich durch hohe Arbeitslosigkeit das soziale Elend. Durch die Oktoberrevolution in Russland hatte sich auch in Deutschland die Arbeiterschaft in Sozialdemokraten und Kommunisten aufgespaltet. Diese politischen Umbrüche spiegelten sich natürlich auch in der Kunst wider. Hatten Kollwitz, Baluschek und Zille noch engagiert für die „kleinen Leute“ Partei ergriffen, so attackiert eine neue Generation von Realisten nun alle gesellschaftlichen Schichten. Der Realismus wird schärfer. Jegliche Sympathie ist verschwunden, Dix, Grosz, Schlichter, Hubbuch, Nagel und teilweise auch Beckmann prangern mit ihrem Realismus nun an. Sie legen die Finger in die Wunden der Gesellschaft und ihr scharfer Blick trifft Groß- und Kleinbürgertum gleichermaßen. Vor allem in ihren Zeichnungen und Druckgrafikzyklen steigert sich der Realismus bis zur Grenze des Surrealen. George Grosz über seine Mappe Ecce Homo (1922): „In diesem Werk aber handelt es sich nicht um Pornographie. Es ist ein Dokument jener Inflationszeit mit ihren Lastern und ihrer Sittenlosigkeit. Es ist in seiner Wirkung so brutal wie die Zeit, die es mir eingab.“

Ab Mitte der 20er Jahre beschäftigt auch die drohende Gefahr für die Demokratie durch den Nationalsozialismus die Berliner Realisten. Der politische Disput speist sich nun nicht mehr nur von links, sondern auch von rechts. Gerade die Realisten in Berlin beziehen mit ihrerKunst in dieser Auseinandersetzung klar Stellung. Mit der von den Dadaisten entwickelten Collagetechnik steht nun auch ein neues künstlerisches Medium bereit. Malerei, Zeichnung und Fotografie werden zu einer gemeinsamen Kunstform vereinigt, um mit neuen Bildkonzepten den selbstgestellten gesellschaftlichenAuftrag zu erfüllen. Der wichtigste Künstler hierzu ist in Berlin sicherlich John Heartfield.

Das Besondere an der Berliner Kunst ist die, jenseits der kunsthistorischen Stilbegriffe Expressionismus, Dadaismus und NeueSachlichkeit, durchgehende sozialkritische Haltung. Dies macht den eigentlichen Berliner Realismus aus und gibt ihm seine im Vergleich zur Kunst andererMetropolen ganz eigene Prägung. Die Ausstellung im Bröhan-Museum „Berliner Realismus. Von Käthe Kollwitz bis Otto Dix“ (22.3.-17.6.2018) stellt diese ganz eigenständige Entwicklung der Berliner Kunst erstmals dar und schlägt einen Bogen von der Kunst ab 1890 bis 1930.

Text: Tobias Hoffmann