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IM FOKUS // Stillleben BRD. Inventur des Hauses von Herrn und Frau B.

11. August 2017

Wenige Tage nach dem Tod eines alten Witwers wird der Fotograf Christian Werner von dessen Enkel gefragt, ob er nicht das Haus des Verstorbenen fotografieren könne, bevor es entrümpelt wird. Entstanden ist ein Inventar des verstorbenen Ehepaars Herr und Frau B. Türklinken, Vorhänge, Plastikblumen, Elektrogeräte, Regalsysteme, Andachtsbilder und vieles mehr aus sechs Jahrzehnten zeugen von einem westdeutschen, bundesrepublikanischen Leben. Alltägliche Details, die teilweise ins Skurrile kippen, erinnern uns an die Wohnungen unserer Eltern, Großeltern, oder an unsere eigenen und stellen die Frage, was von uns bleibt, nach jahrzehntelangem Einrichten, Ordnen und Ausmisten, nach jahrzehntelanger Optimierung der eigenen Wohnung und jahrzehntelangem Konsum. 

Gemeinsam ist allen Fotografien eine gewisse Ordnung, beziehungsweise eine sorgsame Anordnung der Dinge. Eine der unbetitelten Fotografien zeigt eine Detailaufnahme des Couchtisches von Herrn und Frau B. Ordentlich aufgereiht, liegen dort zwei Fernbedienungen, ein Notizblock, eine Brille, ein Flaschenöffner, ein Aschenbecher, eine Übersichtsliste der Fernsehkanäle, ein scheinbar kostbares Kästchen, ein Papiertaschentuch, eine Metalltasse mit einer weiteren Lesebrille und ein Stift. Alles scheint wie gerade erst zurückgelassen: Ein Zigarettenstummel liegt noch im Aschenbecher und auf dem Teller rechts liegen Süßigkeiten, unter anderem ein Schokoladenweihnachtsmann. Gleichzeitig wirkt alles bereits wieder vorbereitet für den nächsten Fernsehabend im heimischenWohnzimmer. Die aufgelisteten Fernsehkanäle und die feinsäuberlich aufgereihten Fernsehabendutensilien zeigen die Akribie ihrer Besitzer, ihren Wunsch nach Ordnung. Über die Jahrzehnte scheinen sich Vorgänge wie der Fernsehabend ritualisiert zu haben und die Alltagsgegenstände wurden diesen Ritualen angepasst. Die Gegenstände können damit einen Rückschluss auf das gelebte Leben zulassen, sie können ein Statement abgeben, moralische Werte ausdrücken, die Identität ihrer Besitzer beschreiben, Status kennzeichnen und technisches Können beweisen.

Der Titel der Ausstellung verweist auf die Tradition der Stilllebenmalerei, die in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts entstand. Im Stillleben werden alltägliche oder kostbare Gegenstände gezeigt, die symbolisch etwas repräsentieren, wie zum Beispiel Wohlstand und eingebunden sind in einscheinbar alltägliches Interieur. Will man Christian Werners Arbeit einordnen, muss man sie wohl unter diese Gattung der Stillleben subsumieren. Die Dinge auf Werners Bilder repräsentieren etwas, Bildausschnitte und Bildauswahl sind keineswegs zufällig gewählt, weshalb es streitbar ist, ob die Bildserie als dokumentarisch gelten kann oder nicht.Alle Bilder verweigern den Blick ins Äußere. Der Innenraum scheint vom Äußeren wie abgeriegelt. Alle Fenster sind mit Vorhängen verschlossen. Trotzdem sind zahlreiche Verweise auf den Außenraum vorhanden: Eine Fototapete im Hobbykeller zeigt eine herbstliche Waldlandschaft, ein Globus zeugt von Interesse anfremden Ländern, zahlreiche Souvenirs wie Bierkrüge, Kuhglocken und Motivkerzendeuten auf Reisen im zumindest innereuropäischen Raum hin. 

Es hat sich einiges angesammelt über die Jahre im Haus von Herr und Frau B., sodass dieses Haus selbst zur Zeitkapsel wurde. Moden der verschiedenen Jahrzehnte überlagern sich, immer wieder wurde etwas hinzugefügt, bis die Wohnung zum Friedhof für Konsumgüter der letzten 60 Jahre wurde. Manch einer mag diese Dinge als geschmacklos empfinden. Doch ein Wille zur schönen Gestaltung der eigenen vier Wände ist deutlich erkennbar. Fast alle Produkte sind massengefertigt. Sie greifen den Zeitgeschmack auf, wobei sie in ihrem Dekor oft überladen sind, die Blumen sind, wie so vieles in der Wohnung, aus Plastik, auch die Bilder sind nicht echt, sondern Drucke. Als überladen lässt sich die ganze Wohnung beschreiben, die, getrieben von einem Horror Vacui, einer Angst vor der Leerstelle, eingerichtet zu sein scheint. Keine Wandfläche bleibt leer. Während die Deko-Objekte billige Massenware sind, sind die technischen Geräte Markenartikel. Ihr augenscheinliches Alter zeugt von jahrzehntelanger Funktion und einem Glauben an Marken und Technik.

Auf Werners Bildern zeigt sich nicht das avantgardistische Design, das in Museen wie dem Bröhan-Museum oft präsentiert wird, sondern der Geschmack einer breiten Masse, der oft eine industrielle Umsetzung dieses avantgardistischen Designs ist. Die Bilder entfalten ihre Wirkung durch die Nähe zu dem, was wir kennen, von unseren Eltern und Großeltern. Sie regen zum Nachdenken an darüber, wie wir wohnten und womit wir uns umgeben.  

Alle Fotografien und weitere Texte zur Ausstellung finden Sie im Katalog zur Ausstellung:
Christian Werner: „Stillleben BRD“. Inventur des Hauses von Herrn und Frau B.Hrsg. von Amely Deiss. Kerber Verlag, Bielefeld 2016.

Text: Simon Häuser