Blog

IM FOKUS // Kieser, Plakate.

17. Juli 2017

Noch bis zum 23. Juli 2017 sind die Plakate Günther Kiesers im Bröhan-Museum zu sehen. Wer ist der Mann, der heute unter Grafikdesignern als Legende gilt? 

Musik geht sprichwörtlich ins Ohr. Diese visuell zu transferieren verlangt virtuoses Gespür. Das Visuelle und Akustische in Beziehung zu setzen ist die Passion des bekannten Frankfurter Grafikdesigners Günther Kieser (1930). Seine großformatigen Musikplakate sind wahre Eyecatcher und nicht nur in Musikerkreisen bekannt und gefragt. Das Bröhan-Museum zeigt in seiner Blackbox-Reihe ausgewählte Plakate aus den Schaffensjahren 1966 bis 1999. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf Günther Kiesers Jazz- und Tourneeplakaten. Mit seinen grafischen Arbeiten stellt Kieser der damaligen Musikwelt eine fulminante Bildwelt gegenüber.

Louis Armstrong, Count Basie oder Charlie Parker, Weltstars der Jazzmusik, entfachten Kiesers Leidenschaft für die Musik. Von New Orleans, der Wiege der Jazzmusik, strömten die neuen Formen und Klänge nach Europa. Das Kriegsende in Deutschland brachte nicht nur gesellschaftliche und soziale, sondern auch hörbare Veränderungen mit sich. Plötzlich war Deutschland wieder voller Musik, die lange verboten war. Innerhalb kürzester Zeit erlebte der Jazz einen Aufschwung, der die Menschen in Massen begeisterte. Rundfunksender spielten die Lieder auf und ab und Jazzfans trafen sich in den fünfziger und sechziger Jahren in Jazzclubs, den sogenannten Hot Clubs, um auf die Befreiungsmusik zu tanzen. Der Free Jazz, eine Bewegung innerhalb dieser Musikrichtung, trägt die Freiheit schon im Namen. Musiker lösten sich von Interpretationen und stellten der klassischen Musik ein Modell von Offenheit und Regelfreiheit gegenüber. Die Befreiung aus der kleinbürgerlichen Enge und der spießigen Nachkriegsmoral forderte auch im künstlerischen Kontext nach einer neuen, unverbrauchten Bildsprache. Angesteckt von der Euphorie hat Günther Kieser die neue Musik von Anfang an in seinen Arbeiten mitbegleitet und bildhaft umgesetzt. Im Auftrag für die Konzertagentur Lippmann+ Rau schuf er legendäre Musik- und Tourneeplakate. Veranstaltungen wie das Jazzfestival in Frankfurt, die Berliner Jazztage (heute: Jazzfest Berlin), oder das American Folk Blues Festival lösten große Musikbegeisterung aus. Nicht nur für Konzerte,auch für Theater, den Hessischen Rundfunk und andere Kulturveranstaltungen entwarf er Werbebotschaften. Ella Fitzgerald, Duke Ellington, Fleetwood Mac,Grateful Dead und The Doors sind nur einige der zahlreichen Musikgrößen, für die Günther Kieser arbeitete. Das mit Abstand bekannteste Plakat ist das Tourneeplakat von Jimi Hendrix. Als Jimi Hendrix 1967 vor den Augen eines ekstatischen Publikums seine Gitarre in Flammen aufgehen ließ, steigerte das nicht nur seine Bekanntheit, sondern auch die seines Instruments. Für die Hendrix „ExperienceTournee“ 1969 entwarf Kieser das Tourneeplakat. Stiltypische Merkmale seinerMusik wie Rückkopplungen, Frequenzüberlagerungen und den verzerrten Auswurf seiner Gitarre integriert der Grafikdesigner in seine Bildsprache, indem er dem Gitarristen Kabel und Schalter aus dem Kopf wachsen lässt. Die unverwechselbare Ästhetik dieses Plakats zeigt sich in Kiesers besonderer Gestaltungsstruktur. Akustische Klänge und schnelle Rhythmen dechiffriert der Bildschöpfer. Seine grafischen Arbeiten faszinieren durch ihre handwerkliche und einmalige Hinwendung zumDetail, die im Austausch mit Malerei und Grafik, Skulptur und Fotografie stehen. Was aus heutiger Sicht unvorstellbar scheint: Kiesers Motive sind alle ohne digitale Hilfsmittel entstanden. Mit Hingabe und Präzision zeichnet, montiert, collagiert oder konstruiert er seine phantastisch anmutenden Bildobjekte, die der Bildschöpfer im Spannungsfeld zwischen Kombination, Assoziation und Illusion ansiedelt.

Aus kunstgeschichtlicher Sicht hat das Plakat eine interessante Wendung erfahren. Seit der Jahrhundertwende wird das Plakat als besonderes Kunstwerk angesehen. In den europäischen Zentren, allen voran Paris,wurden die großformatigen und bunten Affichen stürmisch als Sensation begrüßt.Neue Formen der Kultur, der Unterhaltung und des Konsums entstanden und ein breites, vornehmlich städtisches Publikum erhielt die Möglichkeit, daran teilzuhaben. Der französische Lithograf und Maler Jules Chéret (1836-1932) hatdie Plakatkunst in bedeutendem Maße geprägt und ihren Aufstieg zu einem neuen Medium der visuellen Kommunikation entscheidend mitbestimmt. Seine Werbeplakate für Vergnügungsstätten wie Theater und Revuen wurden zum Ausdruck überschwänglicher Lebensfreude und Heiterkeit. Als „Schöpfer einer Galerie der Straße“ wurden Chérets lithografischen Meisterwerke von Malern wie Henri de Toulouse-Lautrec, Alphonse Mucha oder Georges de Feure von Plakatwänden und Litfaßsäulen gerissen und zumgefragten Sammlerstück. Kiesers Arbeiten stellen eine Weiterführung dieser Tradition dar, die sich im Laufe der letzten 100 Jahren zu einem eigenständigen künstlerischen Medium entwickelte.

Die Jazz- und Konzertplakate Günther Kiesers setzen bekannte Erinnerungen an Klänge, Rhythmen und Melodien über die kraftvolle Wirkung derBilder frei. Wie die Musik selbst ist Kiesers Plakatkunst ausdrucksstark undleidenschaftlich und offenbart den tiefen Blick durchlebter Musikgeschichte.

 Text: Nils Martin Müller