IM FOKUS // Auguste Rodin “Le Baiser”

Der Kuss von Auguste Rodin ist eine der bekanntesten Plastiken der Welt, die in vielen verschiedenen Versionen in unterschiedlichen Materialien existiert und die unzählige Male besprochen, geehrt und nachgeahmt wurde. Heute gilt sie als ikonischeDarstellung von sinnlicher körperlicher Liebe.

Ein Probeguss dieses gefragten Werks, das sich sonst im Pariser Musée Rodin befindet, wird ab dem 15. Juni 2017 in der Ausstellung„Kuss. Von Rodin bis Bob Dylan“ im Bröhan-Museum zu sehen sein. Als diese Bronze 1904 gegossen wurde, war Auguste Rodin ein angesehener Künstler und die erste Version des Werks bereits mehr als zwei Jahrzehnte alt. 1840 in einem Arbeiterviertel geboren, zeigten sich schon früh Auguste Rodins außergewöhnliche künstlerische Fähigkeiten. Sein Realismus war jedoch lange kaum gefragt. Erst spät, in den 1880er Jahren, wurde er populär. Ein wichtiger Schritt in seiner Karriere war der Auftrag aus dem Jahr 1880, eine Bronzetür für das geplante Musée des Arts Decoratifs in Paris zu entwerfen. Zwar wurde das Mammutprojekt niemals fertiggestellt, jedoch verwendete Rodin Zeit seines Lebens Figuren weiter, die ursprünglich für das Portal gedacht waren, und wandelte so die als Teile einer Gesamtkomposition entworfenen Figuren in eigenständige Kunstwerke um. Nicht nur Der Kuss, auch andere berühmte Werke wie Der Denker und Adam und Eva stammten ursprünglich aus dem Pfortenentwurf, der die Hölle aus Dantes Göttlicher Komödie zeigen sollte. Die Figuren aus Der Kuss stellen das Liebespaar Paolo Malatesta und Francesca da Rimini dar. Francesca verliebt sich in ihren Schwager Paolo bei der gemeinsamen Lektüre eines Artusromans. Sie küssen sich, werden von Francescas Ehemann ertappt und getötet und werden letztendlich in die Hölle verbannt. Die Plastik zeigt den Moment kurz vor oder nach dem verbotenen Kuss.

Die erste Version des Kusses war ein Terracotta-Modell von 1882. In dieser Version scheint Paolo widerspenstiger, Francesca scheint den Kuss von ihm einzufordern. Bereits das erste Bronzemodell aus dem gleichen Jahr ist geglätteter, harmonischer. Trotzdem ist Der Kuss kein echter Kuss – die beiden Küssenden berühren sich nicht. Auguste Rodin eigen war, dass er bereits Entwürfe als eigenständige Kunstwerke betrachtete. Wäre für andere Künstler also der erst Bronzeguss das ursprüngliche Werk, kann man bei Rodin bereits die Terracotta-Version als Original betrachten. In den ersten Jahren fand Der Kuss nur wenig Anklang. Er tourte ab 1887 um die Welt und war in mehreren amerikanischen und europäischen Städten zu sehen. Dabei war er hochumstritten. Oft blieb er hinter einem Vorhang verborgen und nur erwachsene, männliche Betrachter durften hinter den Vorhang blicken. Die öffentliche Meinung änderte sich schließlich 1898, als eine leicht vergrößerte Marmorversion der Plastik in Paris ausgestellt wurde. Während sie all die Jahre zuvor für Sündhaftigkeit und Laster stand, wurde sie nun von der Öffentlichkeit als Sinnbild für Erotik und inniger Liebe gefeiert. Die Plastik war inzwischen losgelöst von ihrem ursprünglichen ehebrecherischen Inhalt und einerallgemeineren, symbolhafteren Deutung gewichen.

Das Modell, das im Bröhan-Museum ausgestellt wird, ist aus dem Jahr 1904. Es ist die vierte Verkleinerung in Bronze und ein sogenanntes Chefmodell, also der erste Probeguss, von dem die Reproduktionen abgegossen werden. Deutlich erkennbar ist, dass das Modell aus mehreren Teilen zusammengesetzt wurde. Im Vergleich zu den späteren Abgüssen ist hier die Detailtiefe noch besonders ausgeprägt.  In der Ausstellung „Kuss. Von Rodin bis Bob Dylan“ ist diese Darstellung der älteste plastische Kuss. Viele weitere Küsse, bis hin zu Johannes Weiß‘ Plastik „Altair“ aus dem Jahr 2017 zeigen, wie interessant der Kuss für plastisch arbeitende Künstler war und bis heute ist.  

Text: Simon Häuser

Weitere Informationen zu Rodins Der Kuss finden Sie in den Ausstellungskatalogen:

Bonnet, Anne-Marie (Hg.): Auguste Rodin. Der Kuss – Die Paare, München 2006.

Hoffmann, Tobias (Hg.): Kuss. Von Rodin bis Bob Dylan, Köln 2017.

June 7th, 2017 5:41am Kiss Kuss Rodin DerKuss SimonHäuser Simon Häuser