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IM FOKUS // Jan Toorop “Glaube und Arbeit” (1902)

11. Mai 2017

Beim Blick durch die „Gesang der Zeiten“-Ausstellung im Bröhan-Museum fällt auf, wie vielfältig Jan Toorops Werk ist. Diese Vielfaltist aber eher eine Vielfalt der Stile und der Gattungen, als der Sujets. Einige wenige Themen wiederholen sich in Toorops Arbeiten immer wieder, so dass es scheint, als sei er fast besessen von ihnen. Gleich zwei dieser wiederkehrenden Sujets zeigt er in dieser Zeichnung: Glaube und Arbeit, bzw., wenn man der Übersetzung des Originaltitels folgt, “Glaube und Lohn”. Auch stilistisch ist das Werk jedoch besonders. Es markiert einen Stilwechsel im zeichnerischen Werk Toorops. Anstelle der zarten, sanft geschwungenen Linien des symbolistischen Frühwerksverwendet er nun einen naturalistischen, kräftigen Zeichenstil mit ausgeprägten Konturen und starken hell-dunkel Kontrasten.

Zu sehen sind fünf Personen, wobei zwischen vier naturalistischen Figuren im Vordergrund und einer symbolistischen Figur im Hintergrund zu unterscheiden ist. Die Figuren sind Fischer, sie wirken robust und bäuerlich. Auch hier zeigt sich ein Wandel weg von den eleganten, manieristisch überzeichneten Figuren, die Toorop in seiner symbolistischen Phase zeigte. Für die Frau des Fischers stand Toorops damalige Haushälterin Jaantje Modell, dem Fischer selbst verlieh er seine eigenen Züge. Auffällig ist die klassische,strenge Komposition des Bildes: Es ist ein Bruststück, die Frau ist im Dreiviertelporträt gezeigt, der Mann in Frontalansicht. Die Szene ist eingebunden in ein Interieur, im rechten Bildhintergrund öffnet sich der Blick in einen Außenraum, wie es auch in unzähligen anderen Porträtdarstellungen seit der Renaissance der Fall ist. Auch die Malweise ist streng. Dicke schwarze Konturlinien fassen die Figuren ein. Der verwendete Kohlestift lässt die Figuren grau und hart wirken, tiefe Falten ziehen sich durch ihre Gesichter, ihre eisblauen Augen zeichnen sich gegen den fahlen Hautton ab. Einzig die Außenwelt, der Strand und dasMeer, wirken freundlicher und heller.

Toorop selbst erklärte das Werk so: „Der über seinen Lohn unzufriedene Fischer fühlt den Glauben in sich zerreißen (siehe das Glas vorder Christusdarstellung an der Wand). Die junge Frau, mit anderen Wünschen, steht bei ihm, die alte Frau beiseite.“ Die durch das Fenster sichtbare stürmische See spiegelt die innere Aufruhr wider. Der materielle Aspekt des Lohns, der im Titel angedeutet ist, zeigt sich – neben den Geldmünzen in derHand des Fischers – auch in den Goldplättchen an der Haube des jungen Mädchens. Diese wurden traditionell von unverheirateten Frauen getragen, sie symbolisierten die Mitgift. Das Werk wurde zu seiner Entstehungszeit in einem von Toorop entworfenen Originalrahmen gezeigt, der mit Darstellungen von Schiffen und Pflanzen auf das ikonografische Programm des Bildes Bezug nahm.

Bilder mit der Biografie des Künstlers zu deuten ist fast immer zu kurz gegriffen und trägt einen alten Künstlermythos weiter. Tatsächlich fällt es bei Toorop besonders schwer, sein Leben nicht auf seine ungewöhnlichenBilder zu beziehen. Die monumentale Zeichnung entstand im Zeitraum zwischen Oktober 1901 und Januar 1902 in Katwijk aan Zee. Toorop selbst betrachtete Glaube und Arbeit als Spiegel seiner persönlichen Situation: „Eine großeZeichnung, in die ich mein jetziges Fühlen und Leben gegossen habe.“ Dieses Leben war in der Entstehungszeit der Zeichnung kein angenehmes. Toorop littseit den frühen 1880er Jahren unter einer Syphilisinfektion, die ihm körperlich schwer zusetzte. Zudem war die Beziehung mit seiner Frau, Annie, vergiftet. Toorop hatte verschiedene außereheliche Beziehungen. Die anglikanisch erzogeneAnnie wandte sich immer mehr dem römisch-katholischen Glauben zu, was zu Konflikten mit dem „bohemienhaften“ Lebensstil ihres Mannes führte. Sie ging immer mehr auf Distanz und zog schließlich mit der gemeinsamen Tochter nachParis. 1902 ließ sie sich katholisch taufen, was Toorop als Vertrauensbruch empfand. Er teilte ihr daraufhin mit, dass er sich scheiden lassen wolle. Annie lehnte eine endgültige Scheidung aufgrund ihres Glaubens ab. 1905 konvertierte Toorop schließlich zum Katholizismus. Ob er mit diesem Schritt seine Ehe retten, oder an lukrative Aufträge der katholischen Kirche gelangen wollte, ist unklar. 

Text: Simon Häuser; Inga Remmers