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IM FOKUS // Stefan Moses – Abschied und Anfang. Ostdeutsche Porträts 1989-1990

18. Dezember 2019

Die deutsch-deutsche Entfremdung, gibt es die noch? Ungleiche Brüder und Schwesternin Ost und West? Und: Gibt´s sie schon – die innere Einheit der beiden  „vereinigten Deutschlands”?

Mit dieser Frage beginnt Stefan Moses das Vorwort seiner 1999 veröffentlichten Publikation „DDR – ende mit wende“. Das Buch enthält 200 Schwarz-Weiß-Fotografien, die er ab Herbst 1989 in der nunehemalig-werdenden DDR geschossen hat. Sie zeigen belebte und unbelebte Straßenszenen, Protestplakate, Graffiti, Trabis und natürlich die Mauer; dazu noch Kunst im öffentlichen Raum, von Goethe und Schiller bis Engels und Marx, aber auch Menschen des öffentlichen Lebens, von Schabowski bis Thierse, von Gysi bis Schily sowie die Porträts Namenloser, von der Telegrafistin bis zum Piloten, vom Soldaten bis zum Landwirt.

Wenn das Bröhan-Museum zum dreißigjährigen Jubiläum des Mauerfalls erneut eine Auswahl jener Porträts undMomentaufnahmen zwischen Ab-, Auf- und Umbruchsstimmung präsentiert, haben sichAnspruch und Fragestellung selbstverständlich verschoben. Für mich – “Wessi”, Jahrgang 1984 – war eine Entfremdung von Ost und West nie spürbare Realität. Als ich derfür mich unerhörten Aufforderung der Großmutter nachkam, meine neuen Matchbox-Autos jenem Marvin zu überlassen, war dieser mir zwar unbekannt aber im Angesicht seiner verständlichen Freude keineswegs fremd und – dem politischen Horizont eines Sechsjährigen geschuldet – schon gar nicht ostdeutsch.

Dass es bei der Wiedervereinigung beiweitem nicht nur um Politik ging, vermitteln Moses’ Fotografien noch heute. Denn trotz sichtbarer Narben der Vergangenheit und dem Wissen um eine konfliktreiche Zukunft stellen sie Sympathie, Identifikation und Menschlichkeit in denMittelpunkt. Als Moses’ „Ostdeutsche Porträts“ 1991 im Deutschen HistorischenMuseum zum ersten Mal in Berlin gezeigt wurden, waren sie künstlerische Berichterstattung, 1999 bereits kulturelle Reflexionsgrundlage. Und heute? In einer Zeit in der erneut über Mauern diskutiert wird, offenbart sich ihre zeit- und grenzenlose Bedeutung.

Text: Fabian Reifferscheidt