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IM FOKUS // Von Arts and Crafts zum Bauhaus. Kunst und Design – eine neue Einheit!

17. Januar 2019

Um das Bauhaus ranken sich viele Märchen und Mythen. Begriffe wie „Bauhausstil“ oder „Die Bauhausidee“ sind Allgemeinplätze geworden. Das Bauhaus selbst wurde zum Mythos, zur Ikone der Moderne. Fälschlicherweise wird es sowohl zum Höhepunkt der Moderne gemacht und gleichzeitig auch als Ausgangspunkt der Moderne missverstanden. Die Ausstellung „Von Arts and Crafts zum Bauhaus. Kunst undDesign – eine neue Einheit!“ will mit einigen dieser Mythen aufräumen und einen Beitrag zu einer designgeschichtlichen Einordnung des Bauhauses leisten. Denn die Ideen und Konzepte des Bauhauses und auch seine gestalterische Sprache sind keine Geniestreiche ohne Vorläufer. Vielmehr sind sie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs eine logische Fortsetzung der Entwicklungen, die 50 Jahre vorher vonder englischen Arts and Crafts-Bewegung angestoßen wurden. Ausgangspunkt ist die Industrialisierung. Dieser massive Epochenwandel in der Entwicklung derMenschheit löst in England, dem Mutterland der Industrialisierung, intensive Diskussionen über Kunst und Gestaltung aus. Dass mit Technisierung undindustrieller Produktion eine neue Zeit anbrach, war schnell klar, aber wie sollte man diese neue Zeit gestalten?

Als Edward William Godwin1873 seine neuen Möbel vorstellt, war es mit Händen zu greifen, dass hier etwas völlig Neues angebrochen war. Beflügelt durch den Japonismus, wagte einGestalter in seinen Entwürfen eine absolute Reduktion, die völlige Unabhängigkeit von allen historistischen Stilen. Möbel nahezu ohne Dekor, vielfach schwarz ebonisiert und einer Ästhetik folgend, die sich nur aus derkonstruktiven Struktur ableitet. Das Konzept einer schlichten, sachlichenGestaltung war geboren. Einer Ästhetik, die sich aus einer konstruktiven Logikableitete und zeitlos war, weil sie auf jegliche historische Bezüge verzichtete.

Die Arts and Crafts-Bewegung lehnte die Industrialisierung ab und versuchte ein Gegenkonzept zu entwickeln. Künstler und Architekten taten sich zusammen, weil sie mit der Qualität und der Ästhetik der alltäglichen Dinge unzufrieden waren. AuslösendesMoment war die erste Weltausstellung in London 1851, die der erste großeAuftritt der industriellen Produktion war. Arts and Crafts wollte demHistorismus und der industriellen Produktion gute, moderne Gestaltung entgegenstellen, indem Arts and Crafts – die Kunst und das Handwerk – verschmelzen. Die Künstler sollten sich nicht zu schade sein, alltägliche Objekte zu entwerfen. In einer möglichst engen Zusammenarbeit der Künstler mit den Handwerkern entstanden Objekte, die künstlerischem Anspruch genügten. Ziel war die Einheit der Künste – die Aufhebung einer Trennung von hoher und angewandter Kunst. Diese Idee der Einheit der Künste ist eine der grundlegend neuen Konzepte, die die Entstehung der Moderne prägten und auch für das Bauhaus bestimmend waren. Das Abhängigkeitsverhältnis von Maschine, Kunst und Handwerk wurde in den folgenden Jahrzehnten unterschiedlich interpretiert und die Diskussion flammte dann nachdem ersten Weltkrieg am Bauhaus noch einmal intensiv auf.

Die Idee der Einheit der Künste wurde schnell mit der Frage verbunden, ob die Moderne nicht einen Stil bräuchte. Als die schottischen und die Wiener Gestalter dazu übergingen, nicht mehr nur das einzelne Objekt zu gestalten, sondern eine Ästhetik für ganze Räume zu entwerfen, entwickelte sich eine geometristischer Stil. Geometrische Formen und vor allem das Quadrat wurden als Ausdruck der modernen, von der Maschine geprägten Welt verstanden. Charles Rennie Mackintosh und Josef Hoffmann schufen Raumkunst – Räume als begehbare Kunstwerke. In ihrem weitestgehend schwarz-weißen geometrischen Stil setzten sie künstlerische Entwürfe im angewandten Bereich um, die einer Ästhetik der Maschine huldigten, ohne etwas mit maschineller Produktion zu tun zu haben. In ihrer Raumkunst schufen sie eine Ästhetik, die von den De Stijl-Künstlern ab 1917 in die freie Kunst -Malerei und Skulptur – übertragen wurde. De Stijl griff den Geometrismus derWiener auf, abstrahierte und theoretisierte ihn in der Malerei und wandelte ihn in einen farbigen Geometrismus um, basierend auf den Primärfarben Rot, Gelb, Blau. Diese in der freien Kunst entwickelten ästhetischen Prämissen übertrug De Stijl dann in den angewandten Bereich und erstrebte einen alle Bereiche desLebens prägenden Stil – den “Willen zum Stil”, wie ein Aufsatz von Theovan Doesburg betitelt ist.

Der 1907 gegründete Deutsche Werkbund löste sich sukzessive von dem von Arts and Crafts geprägten Konzept der Einheit der Künste. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstanden sichauch in Deutschland Gestalter wie Henry van de Velde, Richard Riemerschmid, Hermann Muthesius, Heinrich Vogeler und Bruno Paul selbstverständlich als Künstler. Im Zuge der Diskussion des deutschen Werkbundes veränderte sich dieses Selbstverständnis. Der deutsche Werkbund arbeitete als Plattform für die Förderung der Zusammenarbeit der Gestalter mit der Industrie. Man diskutierte über die Systematik des Entwerfens im Kontext der industriellen Produktion, wasim Werkbundstreit 1914 eskalierte. Wie muss sich der Entwurfsprozess verändern, damit Dinge maschinell gefertigt werden können? Soll man deshalb eineEinschränkung der künstlerischen Freiheit akzeptieren, nur um maschinellfertigen zu können? Ist man noch Künstler, oder will man noch Künstler sein,wenn man nun Partner oder Dienstleister der Industrie ist? Im Werkbundstreit 1914 wird genau über diese Fragen gestritten. Van de Velde plädiert für das Selbstverständnis als Künstler, für die künstlerische Freiheit und für die Unabhängigkeit von der Industrie. Hermann Muthesius nimmt die Gegenposition ein und spricht sich letztendlich für eine Lösung von der Kunst und ein neues Selbstverständnis als Gestalter aus, ohne dass dieser Begriff damals schon inder Welt gewesen wäre.

Mit dem Schlagwort “Kunst und Handwerk eine neue Einheit” und einer damit sehr ähnlichen Positionen wie die Arts and Crafts-Bewegung startet Walter Gropius 1919 sein Projekt Bauhaus. Wie im Zeitraffer rezipiert das Bauhaus in den folgendenJahren die oben beschriebene Entwicklung. Gropius, der an der Werkbundtagung 1914 teilgenommen hatte, dreht die Uhr zunächst zurück und versucht mit der “Bauhausidee” wieder die Einheit der Künste zu propagieren. Schnell realisiert er jedoch, dass nicht das Handwerk, sondern die industrielle Produktion der bessere Partner für das Bauhaus ist. Er öffnet das Bauhaus für die Maschine. Unter dem Einfluss des De Stijl-Künstlers van Doesburg entwickelt sich ein geometristischer Stil, der heute als “Bauhausstil” in aller Munde ist. Wie bei den Wiener Künstlern und bei De Stijl entsteht eine durch den Geometrismus modern wirkende Gestaltung, die jedoch wenig mit der industriellenFertigung zu tun hat.

Erst das Bauhaus unter Hannes Meyer in Dessau zieht einen Schlussstrich unter die Diskussion des Abhängigkeitsverhältnisses von Maschine, Kunst und Handwerk. Meyer öffnet das Bauhaus konsequent für die Zusammenarbeit mit der Industrie und löst das Bauhaus von dem Konzept der Einheit der Künste. Unter dem Schlagwort “Volksbedarf statt Massenbedarf” werden die Entwürfeweniger extravagant-künstlerisch und dafür sachlicher und funktionaler. Mit der Einführung des neuen Begriffs Gestaltung – ab 1926 führt das Bauhaus den Untertitel Hochschule für Gestaltung – ist ein neuer Beruf definiert. Der Gestalter ist kein Künstler mehr, aber auch kein Handwerker. Gestaltung ist eine kreative, der Kunst ebenbürtige Tätigkeit – der Kunst ist eine neue Schwesterdisziplin erwachsen.

Text: Tobias Hoffmann