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IM FOKUS // GEORGE GROSZ IN BERLIN

5. November 2018

„Grosz wirkte auf uns wie eine kalte Dusche: schockartig ernüchternd und ungemein belebend“: Auf diese Weise beschreibt Wieland Herzfelde die Begegnung mit George Grosz (1893-1959) 1915 in Berlin. Er und sein Bruder Helmut (John Heartfield) sind wie elektrisiert von Grosz’ Zeichnungen. Mit dem Ziel, für den Frieden einzutreten und das Werk von Grosz einem breiterem Publikum bekannt zu machen, geben die Brüder 1916 die Zeitschrift „Neue Jugend“ heraus, aus der sich ein Jahr später der„Malik-Verlag“ entwickelt. Zu dessen Veröffentlichungen gehören noch im Gründungsjahr die „Erste George Grosz-Mappe“ und die „Kleine Grosz-Mappe“. In den folgenden Jahren publiziert der Malik-Verlag das Frühwerk von Grosz,mehrere Mappenwerke, Sammelbände und einzelne Zeichnungen, die in den vom Malik-Verlag herausgegebenen satirischen Zeitschriften „Jedermann sein eigner Fußball“, „Die Pleite“ und „Der Gegner“ erscheinen. Grosz entwirft zudem Buchillustrationen und gestaltet Bucheinbände. Er wird durch den Malik-Verlag berühmt und prägt wiederum das Gesicht des Verlages entscheidend mit.

Gemeinsam schließen sich die Brüder Herzfelde und Grosz der Berliner Dada-Bewegung an, die im Unterschied zu ihrem Vorläufer in Zürich politisch radikaler ist. 1920 organisieren Marschall G. Grosz, Dadasoph Raoul Hausmann und Monteurdada John Heartfield die „Erste Internationale Dada-Messe“ die sowohl den bürgerlichen Kunstbetrieb ad absurdum führt als auch Kritik am Militarismus übt. Die ausgestellte Mappe„Gott mit uns“ führt wegen „Beleidigung der Reichswehr“ zur Anklage Grosz’ und, als Verleger, auch Wieland Herzfeldes. Der Prozess bildet den Auftakt von insgesamt drei Gerichtsverfahren, in denen sich Grosz des Weiteren wegen Angriffs auf die öffentliche Moral und Gotteslästerung verantworten muss.

Grosz`Arbeiten der 1920er Jahre thematisieren die Konterrevolution und das gewalttätige Vorgehen der Freikorps, sie geißeln das deutscheSpießertum und den Militarismus, in typisierenden Darstellungen rücken dieRepräsentanten von Politik, Justiz, Industrie, Kapital und Kirche in den Blickder Satire. 1918 tritt Grosz der kommunistischen Partei bei, aus der er 1923 wiederaustritt. Dennoch arbeitet Grosz zunächst weiterhin für kommunistischeZeitungen. Er ist Mitglied der Novembergruppe – die er aus Protest gegen derenunpolitische Haltung 1921 wieder verlässt –, Vorsitzender der kommunistischenKünstlervereinigung „Rote Gruppe“ und Mitglied der 1928 gegründeten ASSO. Von1923 bis 1931 steht er unter Vertrag bei einem der wichtigsten Kunsthändler derWeimarer Republik: Als vom Galeristen Alfred Flechtheim vertretenem Künstlerist Grosz nun Teil des kommerziellen Kunstbetriebes, seine Kunst steht  imSpannungsfeld zwischen den Ansprüchen der bürgerlichen Käuferschicht und der uneingeschränkten Freiheit der politischen Satire.

Als Kostüm- und Bühnenbildner hat Grosz an insgesamt zwölf Theaterproduktionen mitgewirkt. Nicht alle seiner Entwürfe sind zur Ausführung gekommen, so sind in der Ausstellung sowohl Skizzen als auch realisierte Projekte zu sehen: Marionetten, die Grosz für das Puppenspiel „Einfach klassisch! Eine Orestie mit glücklichemAusgang“ entworfen hat, Bühnen- und Kostümentwürfe für Theaterstückevon George Bernhard Shaw, Ivan Goll, Georg Kaiser, Paul Zech, Carl Sternheimund Arnold Zweig und, nicht zuletzt, die Zeichnungen für die Inszenierung vonJaroslav Hašeks Schelmenroman „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ unterder Regie von Erwin Piscator.

1932 nimmt Grosz einen mehrmonatigen Lehrauftrag an der Art Students Leaguein New York an. In dieser Zeit reift der Entschluss zur Emigration, nur wenige Wochen vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlässt Grosz Deutschland.Zwar wird er von der amerikanischen Kunstszene als einer der wichtigstenzeitgenössischen Künstler eingestuft, doch vom Verkauf seiner Bilder kann Grosznicht leben, denn die abstrakte Kunst dominiert den Kunstmarkt. Grosz verdient seinen Lebensunterhalt weiterhin als Dozent an der Art Students League, der mit dem Maler Maurice Sterne geführten Sterne-Grosz-School, der eigenenPrivatschule in Douglaston, Long Island und an der Columbia University.

Mit den Ereignissen in Europa setzt sich Grosz aus der Ferne auseinander: Die Verfolgung und Ermordung von Weggefährten wie Erich Mühsam finden Eingang in sein Mappenwerk „Interregnum“. Der zweite Weltkrieg, der spanische Bürgerkrieg und die atomare Bedrohung werden zum Auslöser für Kriegsszenen und apokalyptische Untergangsvisionen. Grosz’ desillusionierte Weltsicht manifestiertsich in der Serie der stickmen, lediglich aus Strichen bestehenden Figuren, die in einer feindlichen Welt leben. Mit seinen Collagen der 1950erJahre knüpft Grosz an seine dadaistischen Werke an und nimmt gleichzeitig Elemente der Pop Art vorweg. Über seine Zeit in den USA schreibt Grosz resümierend: „Wenn auch mein amerikanischer Traum `ne Seifenblase war, schön geschillert hat se doch …“ Von den Nationalsozialisten ausgebürgert und als „entartet“ diffamiert, wird Grosz im Nachkriegsdeutschland wieder öffentliche Anerkennung zuteil, u.a. wird er1958 zum Mitglied der Akademie der Künste ernannt. 1959 kommt Grosz zurück nach Berlin, wo er wenige Wochen nach seiner Ankunft stirbt.

In der Retrospektive, die in enger Zusammenarbeit mit dem George Grosz Estate entstanden ist, werden sowohl Grosz’ bekannte Werke gezeigt als auch eher unbekannteArbeiten wie die Entwürfe für Theaterproduktionen oder Grosz` Fotografien der Überfahrtnach Amerika und der Erkundung New Yorks. Die Ausstellung eröffnet – seit der letzten großen Retrospektive in Berlin vor fast 25 Jahren – die Möglichkeit, Grosz’ künstlerische Entwicklung nachzuvollziehen, deutlich wird die inhaltliche und stilistische Vielfalt, die Grosz’ Werk kennzeichnet. Was darf Kunst bzw.Satire? Was ist politische Kunst, ist Grosz zeitlebens ein politischerKünstler? Diesen Fragen geht die Ausstellung nach.

Text: Inga Remmers