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IM FOKUS // 2×68: Plakatdesign der französischen Gruppe Grapus I Jablonec 68 – Der Ost-West-Schmuckgipfel

13. Juni 2018

In der Entwicklung der europäischen Völker kulminierte die gemeinsame Geschichte immer wieder in Schicksalsjahren. 1918 endete der Erste Weltkrieg, die großen Monarchien in Deutschland, Österreich und dem Osmanischen Reich wurden gestürzt, auf dem Boden der großen Vielvölkerreiche entstanden neue Nationalstaaten wie die Tschechoslowakische Republik. 1945 endete der Zweite Weltkrieg und die Herrschaft der Nazis überweite Teile Europas. Durch Tod, Flucht, Vertreibung und die Teilung durch den eisernen Vorhang hatte dieses geschichtliche Ereignis massiven Einfluss auf die Völker Europas.

Auch 1968 war so ein gemeinsames europäisches Schicksalsjahr. Allerdings ging diesmal der Anstoß fürVeränderungen nicht von den Herrschenden aus und auch kein Krieg warAusgangspunkt für die Umwälzungen. Die Jugend begehrte auf, wollte sich mit dempolitischen und gesellschaftlichen Status Quo nicht abfinden. Gesellschaftliche Ungerechtigkeiten durch die ungleiche Verteilung des Reichtums, der autoritäre Führungsstil einer Generation, die durch den zweiten Weltkrieg geprägt war, wollte man beseitigen und auch die Teilung der Welt in West und Ost, verbundenmit der gegenseitigen Bedrohung, sollte durch „love and peace“ überwunden werden.

Neben Paris war Berlin das Zentrum der 68er-Bewegung in Westeuropa. Was gerade im Westen oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass auch in den Staaten jenseits des Eisernen Vorhangs die 68er-Bewegung eine wichtige Rolle spielte und in vielerlei Hinsicht die Grundlagen für den Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft 1989 legte. Die dynamischste Entwicklung erlebte im Jahr 1968 sicherlich die Tschechoslowakische Republik, wo der gesellschaftliche Aufbruch der Jugend auf die Reformbemühungen des Parteichefs Alexander Dubĉek traf, der einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz schaffen wollte.

Die Liberalisierung durch den Prager Frühling ermöglichte den mutigen Schritt des Museums in Jablonec, ein Symposium und eine Ausstellung mit den führenden Autorenschmuck-Künstlern aus West- und Osteuropazu wagen. Die Idee eines friedlichen Miteinanders und eines kulturellen Austauschs in Europa sollte durch das wunderbare Thema Schmuck zum Ausdruckgebracht werden. Das Schmucksymposium 1968 und die anschließende Ausstellung sind einzigartige Dokumente, wie ein Museum unmittelbar auf die Zeitläufte reagiert und den „Wind of Change“ ästhetisch visualisierte. In Jablonec trafen sich junge europäische Schmuckkünstler, lernten voneinander und schufen ein gesamteuropäisches Netzwerk, das selbst die kälteste Phase des Kalten Krieges in den 80er-Jahren nicht zerstören konnte. Jablonec 68 steht für den europäischen Gedanken im Kleinen, aber natürlich auch für eine ästhetische Revolution im Autorenschmuck. Die Werke von Hermann Jünger, Pavel Krbálek, Florica Farkasu, Othmar Zschaler, Bruno Martinazzi und den anderen Teilnehmern des Symposiums eröffneten in ihrer kompromisslosen Radikalität neue Wege im Schmuck.

1968 steht in West und Ost für eine ungeheure Liberalisierung der Gesellschaft, für eine Überwindung vieler gesellschaftlicher Tabus und eine Offenheit des Denkens, für einen Traum von Freiheit und Friede und für die Vision eines friedlichen Miteinanders der Völker. Das Bröhan-Museum widmet diesem wichtigen Aufbruch zwei parallele Ausstellungen, die zwar vollkommen unterschiedliche Formen von Gestaltungt hematisieren, diese jedoch als Resultate der 68er-Bewegung bewusst gegenüberstellt. Das wilde Pariser Grafikdesign des französischen Grafiker-Kollektivs Grapus trifft dabei auf die Experimente des Autorenschmucksaus Jablonec. „Grapus“ sind die jungen französischen Grafiker Pierre Bernard, Gérard Paris-Clavel und François Miehe, zu denen 1974 Jean-Paul Bachollet und 1976 noch der Beuys-Schüler Alex Jordan hinzustießen. Die Gruppe verstand sich allerdings immer als Kollektiv, das nicht nur gemeinsam über die Gestaltung beriet und entschied, sondern im Laufe der langen Gesichte bis 1990 auch die Ideen und Einflüsse zahlreicher weiterer Mitarbeiter und Praktikanten aufnahm. Grapus griff den heftigen Impetus der 68er-Bewegung auf und verwandelte ihn in ein Grafikdesign, das mit allen Regeln des Genres brach und ein Affront für die Sehgewohnheiten der Zeitgenossen war. Ihre Plakate und Flyer sind ein wilder Mix aus Schrift, Foto und Zeichnung. Fotos werden unscharf gestellt, Fettflecken in die Gestaltung mitintegriert und selbst das eigene Schamhaar wurde für dieGestaltung herangezogen. Politik – besonders die Positionen der französischen KP – spielt in den Entwürfen von Grapus eine wichtige Rolle. Im Laufe der Jahre erhielten sie aber auch immer mehr Aufträge von Kulturinstitutionen wie dem Louvre.

Mit zwei Ausstellungen thematisiert das Bröhan-Museum den großen gesellschaftlichen Wandel, den die 68-Bewegung angestoßen hat und verfolgt dabei die gestalterischen Konsequenzen dieser Veränderungen. In Berlin, in einer der Hauptstädte der 68er-Bewegung, werden damit die ästhetischen Ergebnisse aus den beiden wahrscheinlich wichtigsten anderen europäischen Zentren der 68er-Bewegung – aus Paris und derTschechoslowakischen Republik – gezeigt. Die beiden Ausstellungen werden von einer kleinen Dokumentation zum politischen Geschehen 1968 flankiert. Die Ausstellung Jablonec 68 ist eine Übernahme aus der Neuen Sammlung – The Design Museum, München.

Text: Tobias Hoffmann